Möbel, heilig
Der heilige Stuhl steht im Kunsthaus Essen von Walpurgisnacht bis Christi Himmelfahrt. So wird 1987 eine Ausstellung angekündigt. – Zu sehen sind Arbeiten von 15 Künstlern und 3 Performances, die von einer unabhängigen Jury unter Vorsitz von Dr. Ulrich Krempel aus insgesamt einhundert, deutschlandweit verstreuten Einsendungen ausgewählt wurden.
khm baute
Möbel, heilig.
In der Ausstellung wird deutlich, daß die Vorstellungen von einer heiligen Sitzgelegenheit weit auseinander gehen und von ästhetischen Darstellungen bis zu kritischen und teilweise zynischen Entwürfen reichen.
Mauermann nimmt einen alten Schulschrank und füllt ihn mit teils originalen, billigen Plastikdevotionalien, mit Werkzeugen, teils verfremdeten Bildmaterialien, die dem religiösen Kontext entnommen sind, oder im Zusammenhang des einst funktionalen Möbelstückes religiös konnotiert werden müssen. Die Arbeit zeigt den Künstler als Sammler, der aus seiner unbändigen Leidenschaft schöpft und aus vorgefundenen Gegenständen neue Wirklichkeiten baut.
Sammeln als künstlerische Tätigkeit, als kulturelles Handeln ist das Thema des Kunstwissenschaftlers und Direktor des Karl-Ernst-Osthaus-Museums Michael Fehr. 1997 zeigt er die Ausstellung open box. und in der Ausstellung Mauermanns Möbel, heilig. »Künstler wie Joseph Beuys, Marcel Broodthaers, Per Kirkeby, Claes Oldenburg, Raffael Rheinsberg, HA Schult oder Timm Ulrichs befassen sich in open box teils kritisch, teils nachdenklich, teils ironisch mit dem Museum als Ort der Sammlung und Präsentation, mit seinen Mechanismen und Möglichkeiten.« aus dem Katalog
Zur Arbeit Mauermanns schrieb die Kunsthistorikerin und Kuratorin Beate Reese: »Der Schrank im gesichtslosen Design der Nachkriegszeit ist präsentiert wie ein Flügelaltar: die weit geöffneten Türen lenken den Blick auf die in den Fächern angeordneten Gegenstände. Im unteren Fach auf der rechten Seite sind Heiligenbildchen an die Rückwand gepinnt, liegen Postkarten mit dem Konterfei des Papstes und eine Schneekugel neben einer mit Plastikblumen umkränzten Madonna. Als Pendant dazu befindet sich im unteren linken Fach ein aufblasbares Plastikherz. Goldenes und silbernes Stanniolpapier und kleine Glühbirnen sollen dem Ganzen eine überhöhende, sakrale Wirkung geben, enthüllen aber eher den Scheincharakter der Inszenierung. Eine leitmotivische Stellung nehmen die beiden Kitschpostkarten auf der linken Schranktür ein, die zum einen das schmerzerfüllte Gesicht eines gekreuzigten Christus zeigen, der bei seitlicher Ansicht die Augen leidend schließt und zum anderen das Viertelportrait eines blonden Pin-up-Girls. Als reale Gegenstände verweisen die Hämmer mit der Aufschrift ›Arma Christi‹ sowie die geöffnete Zigarrenkiste mit den Nägeln und die am Band aufgehängten Puppenbeine in dem mittleren Fach auf die Leidenswerkzeuge und somit die Marter Christi, während die schwarzen Strumpfbänder sexuelle Konnotationen wachrufen. Die Verquickung von Leiden durch Unterwerfung und Sexualität, die ihren stärksten Ausdruck im Masochismus findet, wird an der Seitenwand des Schrankes wieder aufgegriffen. Neben der Kopie des ikonographischen Marientypus der Maria lactans sind Frauen in schwarzer Reizwäsche abgebildet, ergänzt durch das Titelbild eines Sexmagazins, auf dem eine halbnackte Frau ihre riesigen Brüste dem männlichen Betrachter darbietet. Die ehemals nährenden, d. h. in ihrer lebenspendenden Bedeutung hervorgehobenen Brüste sind in diesem Kontext zu reinen Lust- und Reizobjekten reduziert worden.
Über die Funktion dieser Bilder als Stimulus läßt sich ein Bezug zu den Devotionalien herstellen, die den Gläubigen durch das Bild der Plastikmadonna nicht nur in religiöse Abläufe einstimmen sollen, sondern ihn auch unter die christliche Religion zu unterwerfen suchen. Die Schriftzüge, die auf der blau besprühten Rückwand durchscheinen, greifen die in die Intimsphäre zielenden Fragen aus einem katholischen Beichtspiegel auf, die vor der Beichte als Vorbereitung durchzulesen sind. Mit Textfragmenten wie »durch unkeusche Gedanken? wie oft? durch unkeusche Reden? durch welche?« werden dem Beichtenden bereits im Vorfeld Verstöße gegen die Gebote in das Bewußtsein gerufen. In Form der aufgeklebten Bilder, aber auch als Schriftzug auf der Querstrebe des vorderen Regalfaches wiederholt Mauermann die Frage »Habe ich schlechte Bilder gerne angesehen? sie anderen gezeigt?«, wobei angesichts der Fotos und der Devotionalien klar wird, daß »gute« Bilder in diesem Kontext nach künstlerischen Kriterien nicht zu bemessen sind. Die zum Zwecke der religiösen Erbauung und Ergebenheit in breite Volksschichten adaptierten Bilder der Hochkunst sind in diesem Kontext als konkrete Machtmittel zu sehen.
Im Unterschied zum mittelalterlichen Flügelaltar, der mit seinen bildnerischen Darstellungen der Versenkung in die Leidensgeschichte der Heiligen und der Verbreitung der christlichen Lehre zu dienen hat, hinterfragt Mauermann mit seinem Schrank die Rolle und Funktion von Bildern, die sich in ihrer Motivik aus der christlichen Ikonographie herleiten lassen.
Letztlich zeigt sich hier ein Defizit des Kunstmuseums, in dem gerade die Popularisierung von Bildmotiven und der Umgang mit Bildern im Alltag nicht thematisiert wird. sondern mittels der Präsentation eine erneute, aber ästhetische Erhöhung der aus ihrem ursprünglichen Kontext genommenen Kunstwerke stattfindet.«