Wir werden es schon getan haben

Vier Jahre lang zeigte Karl-Heinz Mauermann Ausstellungen mit Arbeiten zeitgenössischer Kunst, mit alltagskulturellen Gegenständen, mit avantgardistischen Aktionen in seinem Haus in Essen in den privaten Wohnräumen, im Hof und im Garten. Im Jahr 2010 wird Essen und das Ruhrgebiet Kulturhauptstadt Europas sein. Im Jahr 2010 zeigt Mauermann keine Ausstellung. 2009 präsentiert er »Wir werden es schon getan haben – Eine Ausstellung zu Raum, Zeit und Subversion« mit Arbeiten von Erich Füllgrabe, Uta Kopp, Ruppe Koselleck, Karl-Heinz Mauermann, Daniel Mijic, Achim Mohné, Frank Niehusmann, Rona Rangsch, Lisa Rastl, Matthias Schamp, Georg Winter und Thomas Zika.

 

 

Achim Mohné und Uta Kopp machen mit ihrem Projekt REMOTEWORDS in Essen Station. Auf einem Flachdach installieren sie einen Schriftzug, der unmittelbar zunächst nur aus der Luft bzw. in der konkreten Ausstellungssituation von einem höher gelegenen Fenster gelesen werden kann. Die einzelne Botschaft ist Teil eines Langzeitkonzepts, an dem die beiden seit mehreren Jahren arbeiten. Schriftzüge existieren bereits u. a. auf dem Dach der Akademie der Künste, Berlin, auf dem Neuen Aachener Kunstverein, dem Edith-Rust-Haus für Medienkunst, Oldenburg, und in Kapstadt. Landkarten im Internet, wie z.B. ›Google Earth‹, erfassen die Erde fotografisch, jedoch mit einer systembedingten Zeitverzögerung von ca. drei Jahren. Die Botschaften Mohnés und Kopps werden den gedachten Rezipienten erst Jahre nach der Erstellung des Werkes erreichen, aber unter Umständen auch noch Jahre nach dem Verschwinden im Netz existent sein. In Essen erinnert ZIVILER UNGEHORSAM an David Thoreau, der das Recht des Einzelnen auf Widerstand gegen staatliches Unrecht in seinen Schriften begründete. Subversion als politisches Handeln trifft so auf Subversion als künstlerische Strategie.

 

Ruppe Koselleck gehört zu den in den weltweit erfolgreichsten Ausstellungen vertretenen Künstlern. In Essen wird er seine Idee der ›parasitären Publikationen‹ am Beispiel des Projekts ›Ich und Ikea‹ präsentieren. Seit über 10 Jahren tauscht er, ohne das Wissen der Firma und der jeweiligen Marktleiter, in den Musterausstellungen des weltweit agierenden Möbelhauses z.B. die Fotos schwedischer Werbefamilien gegen eigene Familienfotos aus oder bestückt die Vorzeige-Billy-Regale mit Kunstkatalogen und Pornoheftchen. Ausstellungsbesucher finden Bilder seiner Familie, seiner Freunde, Selbstporträts. Verschwitzt-angestrengte Bilder vom Ostereierausblasen, lächelnde Menschengruppen auf farbstichigen und unscharfen Abzügen überraschen den Besucher bei der Suche nach einem zu erstehenden Möbel und überdauern vom Personal unentdeckt teilweise mehrere Jahre.

 

Auch Lisa Rastl zeigt Fotos aus einer Serie, an der sie schon seit mehreren Jahren arbeitet. Sie fotografiert in den Depots großer Museen, wie dem Centre Pompidou, Paris, oder dem MUMOK, Wien. Diese Fotos werden anderen Museen verkauft oder zur Ausstellung überlassen. In diesen Zusammenhängen werden sie mit Inventarnummern versehen, werden von Restauratoren condition reports erstellt. Die in Depots entstandenen Bilder werden also selbst katalogisierter und im Depot gelagerter Bestand. Die Arbeit reflektiert den Kunstbetrieb, den Umgang mit Kunstwerken, wenn sie Teil dieses Betriebes geworden sind, und zeigt die Orte, an denen Kunstwerke aufbewahrt werden – und das sowohl in einer hochästhetischen Weise als auch auf einer intellektuellen Metaebene. Die logische Paradoxie Bertrand Russels des Katalogs, der alle Kataloge enthält, die keine Verweise auf sich selbst enthalten, wird Kunst.

 

Georg Winter hat schon vor Jahren ein völlig neuartiges Medium zur Aufzeichnung und zum Abspielen audiovisueller Informationen entwickelt und als UKIYO-CAMERA-SYSTEM auf den Markt gebracht. Hier wird mittels Aufzeichnungsgeräten aus Massivholz Information direkt im neuronalen Netz der Nutzer gespeichert und zwar in einer mit anderen technischen Mitteln nicht zu überbietenden Brillanz, da die Auflösung vollkommen identisch mit der des menschlichen Auges ist. Winter stellte 1998 in einer von Mauermann kuratierten Ausstellung die weltweit erste Satelliten-Live-Übertragung von Südfrankreich nach Essen vor. Sein Entwicklungsbüro für Kameratechnik und Neue Medien war ursprünglich vorwiegend auf visuelle Wahrnehmungsstrategien konzentriert. In den letzten zwei Jahren hat er seine Forschung sukzessive auf andere Wahrnehmungsebenen übertragen. Das Ergebnis ist das mobile phone HARAJUKU, welches er im Rahmen von ›Wir werden es schon getan haben‹ vorstellen wird. Darüberhinaus gibt er Einblick in sein aktuelles Forschungsprojekt an der Universität des Saarlands ›ShadowNet‹. Hier von einer Weiterentwicklung des Internet zu sprechen, wäre untertrieben. ›ShadowNet‹ eröffnet eine völlig neue Dimension.

Zur ERöffnung der Ausstellung bietet Georg Winter Workshops in der Küche an, in der die Besucher sich nihct nur über die Technik des HARAJUKU eingehend informieren , sondern unter Anleitung auch ein eigenes Gerät bauen können.

 

 

Erich Füllgrabe beschreibt seine Arbeit folgendermaßen: »Ersetzen wir in einer Fachbeschreibung aus einem Schulbuch für Physik das Wort Physiker durch das Wort Künstler, und Experimente durch Kunstwerke, so erhalten wir folgende Sätze:
Wichtigste Arbeitsweise der Künstler
1. Umwelt mit offenen Augen beobachten.
2. Probleme erkennen und Fragen stellen.
3. Nachdenken und Vermutungen über mögliche Antworten formulieren.
4. Kunstwerke zur Überprüfung der Antworten erfinden und durchführen.
5. Versuchsergebnisse formulieren und zu Gesetzen verallgemeinern.
6. Eventuell aus Meßreihen Formeln ableiten.

Wir sehen, dass die Sätze immer noch einen Sinn machen. Verstehen wir Kunst also einmal als Laborsituation, in der das Ziel nicht die Duplizierung des Alltags ist, sondern in der Aspekte der alltäglichen Welt durch Nachahmung, Abbildung, Darstellung und Spiegelung untersucht und interpretiert werden.« Füllgrabe gewährt Einblicke in seine Beobachtungen von Raum und Zeit und baut beispielhafte Laborsituationen auf.

 

Thomas Zika stellt ›the fremd‹ vor – das Foto-Tagebuch von Außerirdischen, die Europa besuchen. Europe from Outer space. Der Blick auf das Andere mit extraterrestrischer Objektivität.
Die Außerirdischen fotografieren wie alle Touristen, zappen jedoch noch schneller als Japaner von Ort zu Ort – Europe in eight days – von Sehenswürdigkeit zu Sehenswürdigkeit. Schon tausend- und millionenfach reproduzierte sights. Für die aliens also ein Leichtes, sich vorhandene Bilder in ihr Fototagebuch zu laden, offenbar mit partiellem Schärfeverlust aufgrund der andersartigen Sichtweise und Fokussierung. Kam ein ominöser Translator zum Einsatz? Rätselhafte Bilder, deren Bedeutung einmal konkret und einmal abstrakt zu sein scheint, geben sie der Groysschen These vom Ausserirdischen als einzig legitimem Besucher unserer Museen neuen Sinn. Ein eindeutiger narrativer Bedeutungszusammenhang ist nicht gegeben. Ist ›the fremd‹ eine durch Bilder verschlüsselte Botschaft der Extraterrestrier oder aber doch nur das touristische Fotoalbum der Aliens vom ersten Europabesuch?

 

In ›earthskyearth‹ zeigt Rona Rangsch einzelne Sequenzen, Szenarien, Anordnungen von Kugelobjekten, deren Oberflächen leuchtende Strukturen aufweisen. Sie entstanden durch collageartiges Zusammenfügen von Nachtflugaufnahmen über dem Ruhrgebiet. Die entstandenen Meta-Strukturen lassen sich nicht mehr eindeutig realen Räumen zuordnen. Es könnte sich auch um Aufnahmen ferner stellarer Regionen handeln. Durch die Abwesenheit eines Zentralgestirns und die eigene Leuchtkraft wirken die Objekte autark; ob sie natürlichen oder künstlichen Ursprungs sind, bleibt offen. Zu diesen Animationen existieren Leuchtkästen, in denen sie als Lochstrukturen auf Holzplatten übertragen und von innen beleuchtet werden. So finden die transformierten Fotografien zurück in die Realität als neu geschaffene, real existierende Objekte.

In ihrer zweiten Arbeit in der Ausstellung, dem Video ›icecove‹, zeigt Rona Rangsch den Blick auf eine Eisfläche, die sich in diffusem Licht bis zum Horizont erstreckt – auf den ersten Blick massiv und statisch. Doch etwas stimmt hier nicht. Eine Täuschung? Irritiert muß man feststellen, daß sich das Eis in stetiger doch unendlich langsam wirkender Bewegung befindet. Dazu ein harter Klang, der in seiner Intensität im Kontrast zum Bild steht. Das sich unter dem Eis bewegende Wasser verursacht die unwirklich wirkende Bewegung und den Ton. Die Grenzen der mit menschlichen Sinnen in der Natur wahrnehmbaren Zeit werden gezeigt.

 

Daniel Mijic zeigt die Videoinstallation ›Heckenstütze‹. Ein Video zeigt die sich täglich wiederholende Handlung eines Hundes, der eine 150 cm lange Hecke durch seinen Körperdruck verformt, indem er an ihr vorbeistreicht. Das Video wird zeitversetzt auf drei baugleichen Monitoren abgespielt, die nebeneinander stehend der realen Heckenlänge entsprechen, die das Video zeigt. Das Material ist über einen Zeitraum von zwei Jahren aufgenommen. Unterschiedliche Licht- und Wetterstimmungen zeigen einen stets neuen Blick auf eine immer gleichbleibende Handlung.

Im Garten zeigt Mijic seine Arbeit ‚relax‘, ein Kommentar zum Fluß der Zeit.

 

Ein Holzregal, darin drehen sich zusammengeklebte Pappröhren, auf denen Bilder von Räumen zu sehen sind. Was ist das? Es ist die Simulation einer virtuellen Internet-Welt, die den Kommandostand einer Raumzeitmaschine darstellt. Mit billigsten und primitivsten Mitteln baut Karl-Heinz Mauermann die kühnen Träume einer ScienceFiction, die uns längst in unserem Alltag eingeholt hat, nach. Er zeigt damit: Wir können auch anders! Mit einfachsten Mitteln wie einem kleinen Motörchen, einem Drucktaster, Schnur, Papier und Klebstoff wird das Bild einer einfach komplizierten Welt gebaut.

 

›Red on Rubber‹, eine mobile Klangintervention des Komponisten und Performers Frank Niehusmann springt von Ort zu Ort. Mit minimalem Equipment, aber extremem technischen Aufwand bewegt Niehusmann sich durch die Ausstellung und bringt knappe Aufführungen zwischen 10 Sekunden und 10 Minuten Dauer zu Gehör. Dabei steuert er seine digitalisierten sounds und Klangdateien über ein Drumpad an. Das Konzert ungebunden an Ort und Zeit wandert mit dem Ausführenden. Haben die Zuhörer nicht alles mitbekommen, ist es sinnlos, zu sagen, sie hätten nur Teile gehört. Das Teil ist mehr als nur ein Summand des Ganzen: »Drumming on the table: the strikes on the table trigger 44 different sounds. The 4 segments in the first row trigger one single sound each. The 4 segments in the second row trigger – strike by strike – 10 sounds each: the 11th strike triggers again the first sound.«

 

›Fit durch Astronauten-Training‹ – unter diesem Motto entwickelt der Konzept- und Aktionskünstler Matthias Schamp leichte Übungen, die im gedanklichen oder praktischen Nachvollzug dem Interessierten Einstiegsluken für Zeit-Raum-Reisen bieten. Indem der Betrachter einen Einstellungswandel zu seiner Umgebung vollzieht, eröffnen sich ihm neue Räume. Das Fremde blitzt plötzlich im Vertrauten auf. Und unaufhaltsam nimmt das Raumschiff Realität Fahrt auf, die aus der Gewissheit fort ins Labyrinthische führt. Denn wie immer in Schamps Arbeiten kommt es vollem darauf an, Abwege zu organisieren.